Lockdown 2, Tag 125 – 126


Montag: Den Vormittag wieder in der Telefon-Hotline verbracht. Am Ende der ersten war eine junge Frau, die mich ohne mich wirklich anzuhören, zur anderen überstellte, an der anderen ein junger Mann, der mir auch nicht weiterhelfen konnte, weil er meinte, die erste wäre zuständig gewesen (wie ich auch). Ich habe ihn dann gebeten, die beiden sollten das Problem unter sich klären. Mal schauen, was dabei herauskommt.
Am Nachmittag hat mir der Mieter ne Birne ausgewechselt. Falls ich noch mal umziehen sollte, werde ich auf die Deckenhöhe achten. Ob ich was dagegen habe, wenn eine Chinesin einzieht. „Na besser, als wenn Du nach China verschwindest.“
Dienstag: Im strömenden Regen zum Optiker, neue Lesebrille eingemessen und ausgesucht und nebenbei über die Kombination Gleitsichtbrille + Maske abgelästert. Geht gar nicht! Bei ihm auch nicht. Jetzt bekomme ich eine, die auch zum Computer passt.
Die Heckenbraunelle sitzt im strömenden Regen in der tanne und singt. Muss ein sonniges Gemüt haben.

Schneller Konsum ist nun wirklich nicht das Problem. Schuhe liefert auch das Internet.


Gestern schrieb einer der Bookcrosser: „Unter „Leben“ verstehe ich mehr als die „biologische Existenz“ – die sich erstaunlicherweise „Überleben“ nennt, obwohl sie aus meiner Sicht doch die Grundlage für das bildet, was ich unter „Leben“ verstehe. Manche Menschen sind empört,  wenn ich mich so äußere, weil sie von der falschen Vorraussetzung ausgehen, ich hielte eine Existenz wie in den vergangenen vier Monaten für lebenswert. Darüber steht ihnen aber genausowenig ein Urteil zu, wie ich ihnen nicht in ihr Erleben der Coronakrise hineinzureden habe.…Dazu kommt, daß ich derzeit meine Tagebücher digitalisiere und so hautnah mitbekomme, wie reich und erfüllt mein Leben vor dieser Pandemie war. Auch wenn die Einschränkungen demnächst aufgrund steigenden Impfschutzes und sinkender Fallzahlen hoffentlich gelockert oder aufgehoben werden können, so sind einige der für mein Leben wichtigen Stätten schon dauerhaft geschlossen worden bzw. durch Insolvenz weggefallen.“
Dabei hat er vollkommen Recht. Wenn Du äußerst, dass Du dein voriges Leben wieder haben willst, wirst Du zum asozialen Konsumidioten abgestempelt, der nur auf schnelle Befriedigung seiner Wünsche fixiert ist. Alles Quatsch. Sogar ich habe Klamotten und Schuhe im Internet bestellt, als die alten wirklich durch waren. Schnelles Konsumieren ist also nicht das Problem. Was wirklich fehlt ist das soziale und die Kultur. Ich spüre, dass viele Menschen verrohen. Sie werden neidisch und Missgünstig. Du freust Dich über die paar warmen Tage, die Du draußen genießen kannst. Dann kriegst Du entweder die Klimaklatsche um die Ohren gehauen oder „Selbst schuld, Du konntest doch die ganze Zeit raus gehen.
Wir werden stumpfsinnig wie die Tiere.

16 Kommentare

  1. Das Problem ist, wenn die Sehnsucht nach der Normalität so groß wird, dass Sätze fallen wie: »Na, dann müssen wir mit den Corona-Toten halt so leben, wie wir bisher auch mit den jährlichen Grippetoten gelebt haben.« Diese Einstellung lässt nämlich den exponentiellen Faktor vollkommen außen vor. Und aus anderen Ländern wissen wir, wie es aussehen kann, wenn man der Pandemie freien Lauf lässt.

    • Solche Sätze fallen aber nicht! Sie werden unterstellt, das ist der Unterschied.
      Man kann brav sämtliche Maßnahmen mittragen (so absurd manche erscheinen*) und trotzdem das normale Leben vermissen.
      Und man muss trotzdem sagen dürfen dass man das stinknormale Sozialverhalten, ebenso Kunst, Kultur, spielen, lachen, Musik, Freunde, Sportverein etc. vermisst. Ich möchte nicht auf Dauer in solch einer freudlosen, missgünstigen Gesellschaft leben, in der jeder nur noch funktioniert.
      *Es ist verboten, dass sich drei Kollegen aus drei Haushalten nach der Arbeit auf ein Bier treffen, nachdem sie den ganzen Tag mit 300 Kollegen aus 300 Haushalten in einer schlecht belüfteten Halle Autoteile zusammengeschraubt haben. Ich gestatte mir, das absurd zu nennen.

  2. Oh, mir gegenüber ist der Satz leider kürzlich gefallen. Gut, wenn Du das anders siehst!

    Ich vermisse auch einiges und, ja, das ist auch okay. Allerdings finde ich mich schon seit Jahren mit dem Gedanken ab, dass das Verhalten der Menschen irgendwann zu solchen Konsequenzen führt. Und uns stehen noch sehr viel schlimmere Dinge bevor.

    • Ich sehe, das insofern anders, als jedem, der irgendeine Form von Gefühl äußert diese Behauptung unterstellt wird.
      Seit Jahren?
      Wir leben seit einem Jahr mit den Lockdown-Bedingungen. Die einen mehr z.B. Kulturschaffende, seit einem Jahr mit Berufsverbot belegt. Die anderen weniger, Leute, die eher im ländlichen Raum leben und ihrer normalen Arbeit nachgehen.

  3. Ach, Bibo – Du darfst ALLES sagen, aber Du musst dann halt damit leben, daß das, was Du sagst, Gegenwind erzeugt/ Andere nervt/ falsch verstanden wird (denn DAS ist mE gerade in Foren etc oft der Fall)/ als Jammern auf hohem Niveau empfunden wird etcpp

    Daß dem so ist, bedeutet aber nicht, daß Du’s nicht sagen darfst. Das ist ein ganz, ganz großer Unterschied. (MICH nerven seit Monaten die „nichtsagendürfen“-SagerInnen, und ich sage das jetzt, wissend, daß ich von Dir gleich ordentlich Gegenwind bekomme *g*)

    • Ich möchte wetten, Du meinst andere „nichtsagendürfen“-SagerInnen. Und gerade mit denen haben die Menschen, die sich nach einer bunten, offenen Gesellschaft zurücksehnen, wohl überhaupt nicht gemein, werden aber in einen Pott mit denen geworfen.

      • Ich meine AUCH die, wissend, daß Du so eine nicht bist!!!! Aber ich meine AUCH Dich, denn AUCH Du darfst sagen, was Du sagen willst, meinst aber, weil Du keine Zustimmung bekommst, es nicht sagen zu dürfen. 🙂

      • Ich glaube schon es ist ein Unterschied, ob ich „sage Ausländer raus, Merkelmussweg“ oder „endlich scheint mal die Sonne“.
        Ersteres ist ein Zeichen von Missgunst, letzteres etwas positives. Es ist aber die gleiche Missgunst die anderen das Wort verbietet. Auch wurde mir nicht verboten das zu sagen, sondern man hat mich einfach in einen Pott mit den Covidioten geworfen.

  4. Achso – und ich möchte auch nicht auf Dauer so leben müssen, jammere auch ab und an, versuche aber, das nicht überhand nehmen zu lassen, weil ich meine, daß es halt anders derzeit nicht möglich ist.
    Und, ja, ich finde auch, daß Einiges schief läuft/ nicht richtig durchdacht ist/ manchmal auch nur schlecht kommuniziert wird.

    • Anders in Bezug auf was?
      In Bezug auf die Seuchenbekämpfung gibt es ja durchaus praktikablere Modelle, als das unsere.
      Zum Beispiel Infizierte und deren Kontaktpersonen in Quarantäne. Quarantänezonen einrichten wo Infektionen stattfinden in die keiner rein oder raus darf, auch nicht zur Arbeit. Und der Rest lebt normal weiter. Und ja, Auch Großbetriebe mal ein, zwei Wochen dicht machen. Es tut niemandem weh, wenn Ford mal zwei Wochen keine Autos ausliefert. Kollegen, die sowieso zusammen arbeiten sollten sich auch privat treffen können. Momentan sind die am meisten eingeschränkt, die sich seit einem Jahr nicht wehren.
      Im übrigen befeuern die Maßnahmen die Müllflut. Es wird mehr 2go oder beim Lieferdienst bestellt, alles großzügig verpackt.
      Was ich anders gemacht habe: Ich habe keine Kinder. Ich war in der Friedens- und Umweltschutzbewegung, da warst Du noch gar nicht geplant. Über uns hing das Damoklesschwert der atomaren Verseuchung und des kalten Krieges.

      • »Zum Beispiel Infizierte und deren Kontaktpersonen in Quarantäne. Quarantänezonen einrichten wo Infektionen stattfinden in die keiner rein oder raus darf, auch nicht zur Arbeit.«

        Ersteres wird ja gemacht, soweit die Gesundheitsämter die Fälle überhaupt nachverfolgen können. Quarantänezonen sind auch dann erst sinnvoll, wenn sie eingegrenzt werden können, was momentan leider nicht der Fall ist.

        »Und der Rest lebt normal weiter.«
        Das ist leider auch nicht so leicht, weil sich Menschen nicht so einfach voneinander abschotten lassen.

        Ein früher harter (und kurzer) Lock Down, der seinen Namen verdient, hätte sehr wahrscheinlich geholfen, dass wir heute besser dastehen würden. In anderen Ländern hat das besser funktioniert. Leider waren große Teile der Politik zu zögerlich.

        Die Beschränkungen immer wieder reflexhaft aufzuheben, sobald der Inzidenzwert unter 50 fällt, könnte ironischerweise auch eine prima Strategie sein, wenn man die Pandemie am Laufen halten wollte.

      • „Das ist leider auch nicht so leicht, weil sich Menschen nicht so einfach voneinander abschotten lassen.“
        gerade das wird ja gerade gemacht. Wobei man die voneinander abschottet, von denen der Geringste Widerstand zu erwarten ist, aber die ganzen Großbranchen außen vor lässt. Dass trotz der ganzen Maßnahmen die meisten ernst zu nehmende Ausbrüche in Pflegeheimen vorkommen, und zwar mitten im Lockdown, zeigt doch, dass die Maßnahmen an den falsche Stellen stattfinden. Da wäre doch mal zu überlegen, ob man nicht besser bei den Pflegeheimen ansetzen würde und nicht in Museen mit Hygienekonzept. Nach einem Jahr sollte man wissen, dass mehr desselben frei ach Watzlawick nichts bringt.
        Aber wie heißt es doch so schön: Wer will findet Wege, wer nicht will findet Gründe.

      • Man schließt also Museen und Gaststätten, weil man Pflegeheime nicht einfach schließen kann, anstatt sich sinnvolle Maßnahmen für Pflegeheime zu überlegen. Wobei das Schließen der Museen trotz Hygienekonzept absolut nichts bewirkt, im Hinblick auf die Pflegeheime, denn die alten Leute werden sich wohl kaum im Museum anstecken. Pflegeheime schließen kann man nicht, aber man muss dann eben verschärfte Hygienekonzepte dort durchführen. Abstand, Händewaschen, Alltagsmaske, Lüften auch und gerade dort. Und wenn ein Pflegeheim infiziert ist, dann muss es eben eine Zeit lang geschlossen werden. Dann muss man das eben können.

  5. Ich denke jeder hat andere Rahmenbedingen. Beruflich, privat, mental.
    Ich habe es beruflich gut getroffen, meine Arbeit ist sicher und auch wenn das permanente HO nervt, gab es das im Prinzip für mich auch vorher schon.

    Privat sind die Einschränkungen deutlich stärker. Zu meinen Eltern bin ich sonst auch nur alle 2 oder 3 Monate gefahren, aber ich hätte jederzeit können. Fehlen tut mir eher die Spontanität. Ich treffe mich mit Freunden und Bekannten draußen oder per WebEx (Escapespiee) oder Zoom. Eine Freundin hat sogar die Trauerfeier für den Onkel als Zoommeeting gestaltet, hatte sogar den Charme das entfernt wohnende Verwandtschaft (Schottland und Schweiz) dabei waren.

    Mental ist es mal so mal so, aber da es mir beruflich/finanziell sehr gut geht im Vergleich zu anderen versuche ich mich da nicht so reinzusteigern, was mir nicht immer gelingt, aber ich teste auch aus was geht. Vor 3 Wochen waren wir bei einem Freund zum Frühstücken…geht.

    Es gibt immer wieder kleine Überraschungen, das zB an einem Wanderparkplatz doch der Imbis geöffnet ist.

    Ich versuche Wege zu finden…die funktionieren für mich.

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