Grevenbroich


Donnerstag: Köln ist dicht. Nein, das 9€ Ticket ist unschuldig. Zugverspätungen, Baustellen, erkranktes Personal… der ganz normale Wahnsinn. Ganz dicht? Nein, gerade als ich ans Gleis komme, kommt auch mein Zug Richtung Mönchengladbach und das ist genau der, den ich brauche, um nach Grevenbroich zu kommen.
Wieso ausgerechnet Grevenbroich?

Als ich mich vor zwei Jahren mit den Fernwehkindern und deren Anhang dort zum Paddeln getroffen habe, erwähnte die Fernwehmutter, in Grevenbroich könne man auch gut wandern.
Die Fernwehmutter schreibt ja Reise- und Wanderführer. Mittlerweile besitze ich eine ganze Menge davon.
Morgens schappe ich mir einen davon, und darin taucht auch eine Wanderung in Grevenbroich auf.
Ich will nicht lange Komoot programmieren und auch nicht das dicke Buch mitschleppen. Schlau wie ich bin, mache ich nur ein Foto der Karte. Dann habe ich sie ja auf dem Handy.

Dass das nicht die weiseste Entscheidung war, merke ich erst später.

Der Plan

Also los geht’s und Komoot zeichnet nur auf. Denke ich mir so.
Nachdem ich eine Baustelle überwunden habe, erreiche ich auch sogleich die Brücke über die Erft.

Immer geradeaus geht es am linken Ufer der Erft lang. Die Erft ist in Grevenbroich zweigeteilt. Der Flutgraben ist gerade, Teile der Erft sind renaturiert und mäandern. Links von mir Kleingärten, am anderen Ufer Gärten mit Rhododendren bis ans Ufer. Das erinnert mich an die Alsterkanäle. Die Erft hat aber erfreulich mehr Bewuchs.
Nach einer Weile verschwinden die Kleingärten und werden durch Wald ersetzt.
Das Schmachfon baumelt jetzt in einer Hülle um den Hals, weil ich auf Wanderungen nie wusste, wohin damit. In der Hosentasche ging schon beim Vorgänger gar nicht, weil sich das dann immer verstellt hat. Es ständig in der Hand tragen war mir auch zu blöd. Jetzt baumelt es also, und hat schon einen Sprung in der Schüssel, weil die erste Version dieser Hülle einen Produktionsfehler hatte. Bei der neuen habe ich erstmal gründlich am Band gezogen, bevor ich das Schmachfon darin versenkt habe.
Da: eine Schutzhütte!

Waldtempel

Aus der Nähe betrachtet zeigt sich, dass die Hütte bedeckt ist mit Mosaiken aus bemalten Kronkorken.

Hier hat Ingrid die Seite gewechselt, und ich mache das auch. Mich erwartet am rechten Erftufer eine brennesselige Wildnis. Gut, dass ich die Hosenbeine noch anhabe. Seit Ende April laufe ich fast nur noch in Shorts durch die Gegend. Ich befestige das Schmachfon am Gürtel, da stört es am wenigsten. Am Hals hängt ja auch die richtige Kamera.

An einem toten Baum hat ein Specht gearbeitet. Ich finde einen quer liegenden Baumstamm, direkt an der Erft. Ein guter Platz, um etwas Studentenfutter einzuwerfen und dem vorbei treibenden Wassersalat hinterher zu schauen. Die Ecke hier hat was von einem tropischen Gewässer, denke ich. Richtig gedacht. Wassersalat ist ein Neophyt, der eigentlich aus den Tropen und Subtropen stammt und aus der Aquaristik in die Erft entkommen ist. Weil das Senkungswasser aus dem Tagebau in die Erft geleitet wird, wird die Erft auch im Winter nicht kälter als 10° und deswegen kann er hier treiben.
Nach der Pause geht es ein bisschen hoch und ich stehe auf der Landstraße. Es ist sonnig und warm und die Vegetation ganz anders:

Hier sehe ich Schneeball und Klette. Hier ist auch schon das nördliche Ende der Tour erreicht.

Nur kurz geht es durch Wohngebiet, dann bin ich schon wieder im Grünen. Vor mir die Apfelwiese rechts von mir etwas rotes.

Über einen Erftarm schaue ich auf das Ettlrad. und gerade als ich noch ein Portrait des Schwans machen will heißt es: „Ich hab Hunger! Meine Batterie ist alle!“ Diesmal ist es nicht das Schmachtfon, das motzt, sondern die Kamera. Ok, wechsel ich eben… Der Ersatzakku ist nicht da wo er soll, sondern noch im Fahrradgepäck.
Also Knipse in die Tasche, Schmachtfon wieder um den Hals und jetzt zeigt sich auch, warum das keine gute Idee war, die Karte aus dem Buch einfach abzufotografieren. Weil ich jetzt mit dem Fon fotografiere, muss ich jedes mal zurückblättern um wieder auf die Karte zu kommen, wenn ich Ingrids Planung mit meinem Standort abgleichen will.
Außerdem werden ab hier die Fotos eher suboptimal.

Denn das Schmachtfon für jedes Foto aus der Hülle zu friemeln ist mir zu aufwändig. Schließlich hat die Hülle ja ein Fotofenster. Aber die Hülle um den Hals macht es mir nicht einfach. Anscheinend ist das Neue gebrauchte noch empfindlicher als das Alte. Ständig fühlt es sich angetippt, auch wenn ich überhaupt nichts gemacht habe und macht in vorauseilendem Gehorsam gleich eine 12teilige Serie der Villa Ercken und eine Aufnahme meiner Füße. Die Hülle führt zu Reflexen und Farbverschiebung.

Ich drehe eine Runde durch den Stadtpark. Er ist der erste in einer Kette von Parks, die von der La-Ga 1995 übrig geblieben sind.

Danach besuche ich die Villa Erckens. In der Dauerausstellung lerne ich viel über den Niederrhein und das Gemüt des Niederrheiners. Ein Raum widmet sich der Niederrheinischen Küche, ein anderer Niederrheinischen Schriftstellern. Ich amüsiere mich über diesen Text von Hanns Peter Hüsch. Dabei hat er durchaus einen ernsten Hintergrund. im Erftland wurden Zuckerrüben produziert, die unversehens Konkurrenz durch kubanisches Zuckerrohr bekamen.
Ich lerne etwas über Dehnungs-I und -E und andere Absonderlichkeiten unserer Mundart.
Meine Nierderrheinische Seele kann ich leider nicht ergründen, da zwei der Teststationen nicht funktionieren.
Neben dieser äußerst kurzweiligen Dauerausstellung gibt es auch noch die Wechselausstellung: „die Erde heilen“ war auch schon das Motto der La-Ga 1995.

Nach einer Waffel mit Eis, Sahne und Kirschen bei Mimmo begegne ich zuerst Konrad und Willy, und dann an der Mühleninsel einem jungen Teichhuhn. Dann kommt auch schon der nächste Park. „ein brausendes Meer, rauschend peitscht es die Gefilde“. der Schottische Künstler Ian Hamilton Finlay hat im gleichnamigen Park, nicht nur Vergil, sondern auch andere Dichter, Philosophen und Künstler verewigt. Übrigens denke ich mittlerweile, ich bin in einer Zeitschleife gefangen, weil noch immer überall Hinweise auf die La-Ga 1995 stehen. In den Parks, im Museum, auf der Straße, am Bahnhof…

Die Mühle kenne ich, denke ich, aber nee, da sind wir beim Paddeln nicht vorbei gekommen. Es ist eine andere Mühle. Bei Melusine und Nereide, die vor dem Standesamt sitzen bin ich verwirrt: Bin ich hier noch richtig? Ein Trampelpfad führt am ziemlich leeren Schwimmbad vorbei. Wären in Köln die Bäder so leer, ginge ich auch ab und zu mal schwimmen.

Eine Brücke über die Erft bringt mich zum nächsten kleinen Park, der ehemaligen Tierstation Schneckenhaus. Hier gibt es heute viele Bienenkästen, Bienenpflanzen und eine Voliere mit 12 völlig zerfledderten Hühnern. Ich unterhalte mich länger mit deren Betreuerin. Die Kampfhühner sind erst seit fünf Tagen hier und stammen aus schlechter Haltung. Die Voliere von der ehemaligen Wildtierstation stand hier noch rum und nun sind die Hühner hier eingezogen und werden mit gutem Futter, Antibiotika und viel Platz wieder aufgepäppelt.

Wassersalat

Und wieder finde ich ein lauschiges Plätzchen, lasse den Wassersalat an mir vorbei ziehen und gedenke der Tropen.

Im Tierpark, am südlichen Zipfel der Tour gibt es neben Damwild auch verschiedene Haustierrassen zu sehen. Zum Abschluss geht es noch eine ganze Weile am Erftflutgraben entlang.

Gerade als ich am Bahnsteig ankomme, läuft auch schon mein Zug Richtung Köln ein. Der Tag endet, wie er begonnen hat.